Wie Tai Ji ihre Konzentration und ihre Geduld verbessern kann …
Tai Ji lernen – machen wir mal, das wäre lustig! Die meisten Menschen betrachten diese «mühelose» Bewegungen als etwas, dass man sich schnell aneignen kann. Doch ist der Tai Ji Lernprozess ein langer und auch mühsamer Weg. Aus diesem Grund kommen die wenigsten Teilnehmer weit.
In meiner Erfahrung mit Tai Ji Gruppen starten wir oft mit 8-15 Interessenten in einer Einsteigergruppe und nach sechs Monaten haben die Hälfte schon aufgegeben! Für das Lernen einer Kurzform (mit 24 Figuren) braucht es ein Jahr Unterricht (Kurs 1x / Woche). Ich erwarte auch, dass die Teilnehmer das Gelernte zuhause üben. Am Ende des Jahres können vielleicht ein Paar motivierte Teilnehmer die Kurzform selbständig üben (zB zuhause oder im Park) und die anderen können dies in der Gruppe – mit Anleitung.
Für das Lernen einer Langform braucht es noch mindestens ein Jahr Unterricht dazu und erst nach langer Zeit (noch ein Jahr …. oder zwei …) haben die meisten Teilnehmer das Gefühl, sie kennen die Form auswendig.
Nach diesen drei Jahren hat man nicht nur eine neue Körpersprache gelernt, sondern weiss man überhaupt was Geduld ist!
Ich vergleiche Tai Ji Lernen gerne mit dem Lernen einer Sprache. Es braucht dafür etwa gleich viel Zeit und Übung und auch einen soliden Aufbau mit Basiselementen (Nomen, Verben) die man kombiniert in Figuren (Sätze, Phrasen), danach in längeren Sequenzen.
Dann kommt das Spiel (z.B. Verständnis von Synonymen, Humor, Ironie) dazu, auch Akzent, Stil, und Farbe.
Für eine fliessende Sprache mit Variantenfülle und der richtigen «Musik» braucht es einige Jahre lernen und auch einige Jahre üben. Dies kann man nicht aus einem Buch lernen – es braucht Üben d.h. Sprechen, Verstehen, Hören.
Doch gibt es Teilnehmer die meinen, sie können viele Tai Ji Sprachregeln aus einem Buch oder mit Hilfe von YouTube lernen. Ohne einen kompetenten Lehrer bzw. eine gute Gruppe kann man in dieser Art und Weise nicht lernen, wie die Qualität der Bewegung in Tai Ji funktioniert, noch wie man diese selber integriert.
Erst mit Zeit und Übung wird man sich diese feinen Nuancen – auch die Zusammenhänge zwischen Geist- und Körperarbeit – auch die erhöhte Selbstwahrnehmung im eigenen Körper – aneignen können. Dieser Lernweg ist ohne Ende, und wir entdecken immer wieder Details, die wir optimieren können. Wer eine zweite Sprache fliessend spricht weisst genau, wie viel Zeit, Übung und Geduld dazu notwendig waren. Und dass es keine Abkürzungen gibt, wenn man diese Sprache beherrschen will. Mit Tai Ji ist es nicht anders.
Ein weiterer erschwerender Aspekt ist die Tatsache, dass unser motorisches Gedächtnis viel langsamer «lernt» als unser Köpfe dies können. Das Lernprinzip der Bewegung ist Repetition. Erst wenn man eine Bewegung viel geübt hat (und diese im motorischen Gedächtnis verhaftet ist) ist es möglich, aus dem linkshirnigen «Lernen- und Analysierenmodus» und in den rechtshirnigen «Spüren- und Entspannungsmodus» zu kommen.
Da wir beim Tai Ji mit einer komplexen Choreographie konfrontiert werden, ist dieser Schritt nicht gerade einfach. Es sind oft die Teilnehmer, die schnelle Kopflerner sind (und die es in der Schule einfach hatten und jetzt im Erwachsenenleben / Berufsleben dank ihrer schnellen Auffassungsvermögen viel Anerkennung bekommen), die mit dem «Körperlernen» enorm viel Frust erleben. Besonders für diese Teilnehmer betrachte ich das Gedulds-Training sowie das Selbstwahrnehmungs-Training als wichtige Ressourcen der Stress-Prävention.
Und nochmals hat man erfahren, wie wertvoll das Üben ist.
Tai Ji schult auch unsere Konzentration. In der Langsamkeit muss man Bewegungen pausenlos steuern, die man sonst «automatisch» ausführen würde. Kein Wunder, dass die Lernenden nicht nur körperliche, sondern auch mentale Müdigkeit spüren.
Oft kommt der Frust hoch, wenn man in der Gruppe übt und einen Fehler macht (zB mit der Handposition oder der Gewichtsverteilung) und dann wird der Frust mit einem Ton oder mit einer hastigen Körperbewegung oder einen abrupten «Bremsen» quittiert. Für die anderen Teilnehmer in der Gruppe ist dies eine unwillkommene Ablenkung.
Tai Ji ist Meditation in Bewegung und so gelten die gleichen Hinweise zur ruhigen Konzentration wie bei der sitzenden Meditation:
1. Auch die grössten Meditations-Meister werden ab und zu von einem «störenden» Gedanken abgelenkt. Anstatt sich daran zu heften, lassen sie diesen Gedanken weiter treiben (wie ein Schiff auf einem Fluss) und bleiben dabei bei ihrer Aufgabe (Ruhe!). 2. Die eigene Atmung kann man als beruhigenden und regulierenden Faktor nutzen – einfach weiter atmen und die Bewegungen im langsamen Atmungstempo weiter ausführen.
3. Eine Vollbremse – sei diese in der Bewegung oder in den Gedanken – kostet uns eine Menge Energie und das Neustarten auch. Sie fahren besser wenn sie nötigenfalls leicht verlangsamen oder sanft etwas los lassen – sei dies in der Bewegung oder in den Gedanken – bevor Sie «weiter fahren».
Wer die eigene Stress-/Frustreaktion in dieser Art und Weise in den Griff bekommt hat eine wertvolle Methode, die man auch im Alltag anwenden kann. Tai Ji-Lernende berichten auch davon, dass sie diesbezüglich eine positive Änderung erleben.