Tai Ji ist bewegte Meditation und bringt uns in den «Flow»-Zustand.

Die einzelne Bewegung und später das Zusammenhängen von diesen Figuren wird mit vielen Repetition gelernt. Durch diese Repetition übernimmt das motorische Gedächtnis und man bewegt sich ohne bewusst zu «studieren» was man genau macht. Es läuft wie von selbst. In diesem Zustand (nennen wir es «machen ohne studieren») ist man weniger «bewusst/linkshirnig» unterwegs und ist mehr in der Lage, den Geist zu leeren und sich während diesen Bewegungen als entspannt und ruhig zu erleben.

Typisch für den Flow-Zustand ist das Gefühl des Verschmelzens mit der Tätigkeit. In der Tai Ji Stunde nenne ich dies gerne «Atmen wie wir bewegen und Bewegen wie wir atmen.» Früher wurde der Flow-Zustand als «das völlige Aufgehen in der momentanen Tätigkeit» (H. Scheuerl) und wurde oft als das Vergessen der Zeit beschrieben.

In der Entspannungsreaktion wird das sympatische Nervensstem runtergefahren und das parasympathische Nervensystem aktiviert. Ich gehe hier nicht ins Detail; über Benson’s Relaxation Response wurde schon vieles geschrieben, und Tai Ji wird überall als wirksame Methode für die Tiefenentspannung vorgeschlagen.

Lernstress und Entspannung
So kommen viele Anfänger in die Tai Ji Gruppen mit dem Wunsch, ihren Stress bzw. ihr Stressverhalten zu vermindern. Wir beginnen mit den ersten Figuren und ich kann beobachten wie die einen sich beim «Lernen» versteifen und man sieht fast wie der Dampf aus dem Ohren kommt! Oft erwarten diese Menschen von sich schneller Erfolg (Tai Ji sieht ja so einfach aus – das muss man beim ersten Versuch können!!) Doch oft kommt man so nicht wie gewünscht in die Entspannung.

Tja so einfach ist es nicht. Dabei bleiben!

Erst nach viel Repetition kann man den Kopf abschalten und «einfach machen». Und erst wenn man sich in der Bewegung spüren kann (was im Lerndruck nicht einfach ist) kommt man in diesen Zustand. Für die einen geht dies schneller für die anderen langsamer – dies ist m.E. Charaktersache. Jeder kann diesen Zustand erreichen, wo man sich einfach in der Bewegung «vergisst» und die Zeit still steht. Und bis dorthin wurde eine Menge Kraft, eine Menge Koordination und auch eine Menge Konzentration trainiert, auch Gleichgewicht, Gedächtnis und Geduld wurden verbessert.

Geist und Körper
Auch Menschen, die mit esoterisch-östlichen Entspannungspraktiken nicht zu tun haben wollen, können den Zusammenhang von Körper und Geist akzeptieren. Man kann dies nachvollziehen, dann wenn (geistiger) Stress uns dazu verleitet, Schulter und Nacken anzuspannen. Das ist eines von vielen Beispielen, wie der Geist unser körperliches Wohlbefinden beeinflusst – kennen Sie weitere?

Ich bin davon überzeugt dass diese Kommunikation auch in die andere Richtung laufen kann, d.h. dass ein sanfter Umgang mit dem Körper auch den Geist beruhigen kann. Wenn man den Körper eine Zeit lang ruhig und ohne Anspannung bewegen kann signalisiert man dem Geist dass keine Bedrohung vorhanden wäre bzw. keine Stressreaktion nötig wäre. Es ist auch ein willkommenes, sogar überraschendes Erlebnis, den eigenen Körper als weich, locker und gleichzeitig kräftig und stabil zu erleben.

Ruhe, why not?
Für viele ist Meditation ein unerreichbares Ziel. Dies wahrscheinlich, weil sie nie probiert haben oder viel zu schnell aufgegeben haben. Auch der grösste Zen Meister bekommt mal einen störenden Alltagsgedanke – der Unterschied liegt darin, dass der Zen Meister an dieser «Störung» nicht haftet. Der Gedanke kann auftauchen und auch weiterziehen. So bleibt man ruhig.

Beim Tai Ji Lernen soll man sich ähnlich wie der Zen Meister verhalten, wenn man von einem Gedanken in der Konzentration unterbrochen wird, oder wenn man einen Fehler entdeckt und rasch/frustriert abbrechen will: dabei bleiben! Nicht abrupt bremsen, die ruhige Atmung nicht unterbrechen, in der Langsamkeit bleiben. Diese Art, nicht zu reagieren, kann gelernt werden und ist im Alltag sehr nützlich und wertvoll.

Hier drei Meditationsübungen, die ich schätze:


Übung – die Wassermeditation

– ich stelle mir einen kleinen, ruhigen See vor (im Unterbauch bzw. im unteren Dantian)
– das Wasser ist so still und klar, dass ich bis auf dem Seegrund sehen kann.
– meine Gedanken sind wie Wind. Wenn sie „vorbeiflattern“, ist die Wasseroberfläche doch nicht mehr klar.
– mit sehr ruhigen Atemzügen bringe ich die Wasseroberfläche zurück zu einem ganz stillen Zustand. So habe ich wieder die «Klarheit» und die Ruhe in mir.


Übung – Nierenenergie pflegen

a. Einatmen in Qi Hai. Ausatmen zum Hui Yin. Dort Ein- und Ausatmen.

b. Einatmen in Hui Yin. Ausatmen zum Ming Men. Dort Ein- und Ausatmen.

c. Einatmen in Ming Men. Ausatmen zum Qi Hai. Dort Ein- und Ausatmen.


Last but not least: die Herbert-Übung

Diese Übung trainiert die aufrechte/entspannte Körperhaltung. Schon wieder haben wir einen See im Unterbauch, und hier befindet sich Herbert, der Goldfisch. Wenn ich meinen Unterbauch als ein mit Wasser gefülltes Becken vorstelle, , dann will ich meinen Rumpf aufrecht halten, so dass das Wasser (sowie das kleine Herbertlein) nicht herausgeleert werden! Mit dieser Vorstellung vom ruhigen See in mir mache ich meine Tai Ji Bewegungen entspannt aufgerichtet und ohne abruptes Bremsen & Beschleunigung. (Mit diesem Trick hat man man man bu duan (siehe Prinzipien) im Griff und es erstaunt, wie diese Art der Körperbewegung den Geist auch beruhigen kann.)